- Amerikanische Revolution \(1776 bis 1783\): Das Streben nach Glück
- Amerikanische Revolution (1776 bis 1783): Das Streben nach GlückDie ideologischen Ursprünge der RevolutionDie Loslösung der 13 nordamerikanischen Festlandskolonien vom britischen Mutterland war kein isoliertes Ereignis auf einem fernen Kontinent. Schon die Zeitgenossen glaubten das Echo der Schüsse von Lexington und Concord in Massachusetts rund um die Welt zu hören, und die Europäer diskutierten leidenschaftlich die Bedeutung des Unabhängigkeitskampfes der amerikanischen »Patrioten« für die Zukunft der gesamten Menschheit. Das Bewusstsein einer epochalen Umwälzung war weit verbreitet und wurde durch die Krise des Ancien Régime in Frankreich noch verstärkt. Obwohl die Revolutionen in Nordamerika und in Frankreich unterschiedliche soziale Voraussetzungen hatten und ihren jeweils eigenen Verlauf nahmen, waren sie doch Teile eines größeren Ganzen: Sie beschleunigten auf dramatische Weise den historischen Wandel, der die ständisch-monarchischen, auf Privilegien beruhenden Ordnungen in das Zeitalter der demokratisch-kapitalistischen Nationalstaaten hinüberleitete.Republikanismus und VerschwörungsängsteDie Entfremdung der Amerikaner vom britischen Mutterland, die aus stolzen Bürgern des britischen Empire und treuen Untertanen der Krone unversöhnliche Rebellen machte, hatte sich erstaunlich rasch vollzogen. John Adams, der spätere zweite Präsident der USA (1797—1801), bezeichnete diesen intellektuellen Prozess rückblickend als den eigentlichen Kern des Geschehens. Die Revolution, so schrieb er 1815 an Thomas Jefferson, habe in den Köpfen der Menschen stattgefunden, und sie sei schon abgeschlossen gewesen, bevor 1775 bei Lexington und Concord Blut vergossen wurde. Diese Beobachtung trifft insofern zu, als die Ursprünge des Konflikts in erster Linie geistig-ideologischer Natur waren. Das beharrliche Pochen der Siedler auf ihre in den Gründungsbriefen der Kolonien verankerten »alten englischen Rechte«, allen voran die Gesetzgebung und Steuerermächtigung, diente nicht der Verschleierung oder Rationalisierung ökonomischer Interessen, wenngleich diese sicher auch eine Rolle gespielt haben. Vielmehr verschmolzen praktische Erfahrungen mit den britischen Bestrebungen, die amerikanischen Kolonien nach Ende des Siebenjährigen Krieges wirtschaftlich und politisch wieder stärker zu kontrollieren, mit den Maximen des klassischen Republikanismus und mit liberal-naturrechtlichen Vorstellungen zu einer Weltsicht, in der alle britischen Maßnahmen seit 1763 als Ausfluss einer von langer Hand geplanten Verschwörung gegen die Kolonien erschienen, deren Ziel die Beseitigung des Selbstbestimmungsrechts der Siedler war. Irrationale Ängste vor einer »Versklavung« setzten zusätzliche Energien frei, die sich im Boykott britischer Waren und anderen Protestaktionen (z. B. Boston Tea Party 1773) entluden und auch zu Zusammenstößen von Demonstranten mit britischen Truppen führten. Angespornt durch die inkonsequente Haltung des Parlaments und der englischen Regierung, die zwar einige Steuer- und Zollgesetze rückgängig machten, aber an ihrem Besteuerungsrecht prinzipiell festhielten, gelang es den Patrioten, die städtischen Mittel- und Unterschichten zu mobilisieren und englandtreue Kolonisten, die Loyalists oder Tories, als Feinde des Volkes abzustempeln. Angesichts britischer Strafmaßnahmen gegen Massachusetts 1774 (Schließung des Bostoner Hafens, Auflösung des Kolonialparlaments, Aburteilung der Aufrührer, Einquartierung von Soldaten in Privathäusern) empfanden sich immer mehr Amerikaner nicht mehr als Untertanen in einer gottgegebenen, hierarchisch gegliederten Gesellschaftsordnung, sondern als freie und gleiche Bürger, die ihr Schicksal selbst in die Hand nahmen. In der gespannten Atmosphäre nach den ersten Kämpfen in Massachusetts 1775 entzündete Thomas Paines Flugschrift »Common Sense« den Funken, der das Pulverfass zur Explosion brachte.Das Lösen der Bande — Die UnabhängigkeitserklärungIm Mai 1776 spitzte sich die Auseinandersetzung zwischen der gemäßigten und der radikalen Fraktion im Kontinentalkongress, dem Delegiertenkongress der 13 britischen Kolonien in Philadelphia, zur letzten Kraftprobe zu. Der entscheidende Anstoß kam aus Virginia, wo die Patrioten nach der Auflösung des Parlaments durch den britischen Gouverneur einen Provinzialkongress einberufen hatten, der de facto die Regierungsgeschäfte führte. Am 15. Mai 1776 forderte er die Delegierten Virginias im Kontinentalkongress auf, sich für die Unabhängigkeit einzusetzen. Daraufhin stellte der Abgeordnete Richard Henry Lee am 7. Juni in Philadelphia den Antrag, der Kongress möge die Kolonien zu »freien und unabhängigen Staaten« erklären, ausländische Mächte um Hilfe bitten und eine Konföderation bilden. Es dauerte aber einen weiteren Monat, bis die übrigen Kolonien auf diese Linie gebracht werden konnten. Am 2. Juli nahm der Kontinentalkongress Lees Resolution mit zwölf Stimmen bei Enthaltung New Yorks an. Zwei Tage später blieben die New Yorker Delegierten, die immer noch keine Instruktionen erhalten hatten, der Sitzung fern, um so die einstimmige Billigung der Unabhängigkeitserklärung zu ermöglichen.Der Entwurf stammte aus der Feder von Thomas Jefferson, einem Rechtsanwalt und Angehörigen der virginischen Pflanzeraristokratie, der mit seinen 33 Jahren zu den jüngsten Delegierten in Philadelphia zählte. Die Präambel leitete das Recht auf Loslösung vom Mutterland aus dem Naturrecht ab und betonte, dass es der Respekt vor der öffentlichen Meinung der Welt verlange, einen solch schwerwiegenden Schritt ausführlich zu begründen. Der erste Teil fasste die politische Philosophie der amerikanischen Revolution in einigen Kernsätzen zusammen. Den Ausgangspunkt bildete das Naturrecht als »selbstverständlicher«, objektiver Maßstab, an dem das von Menschen gesetzte Recht zu messen ist. Alle Menschen seien gleich geschaffen (»all men are created equal«) und von ihrem Schöpfer mit unveräußerlichen Rechten ausgestattet; hierzu zählten vor allem Leben (»life«), Freiheit (»liberty«) und das Streben nach Glück (»pursuit of happiness«). Die Staatsgewalt (»government«) sei eingerichtet worden, um diese Rechte zu schützen; sie müsse auf der Zustimmung (»consent«) der Bürger beruhen und dürfe beseitigt und durch eine neue Regierung ersetzt werden, wenn sie ihren Aufgaben nicht gerecht werde. Im zweiten Teil folgte ein langes, nicht in allen Einzelheiten korrektes Register der Amtsverstöße Georgs III., das den König eines Bruchs des Herrschaftsvertrags überführen sollte. Der Schlussabschnitt besiegelte unter feierlicher Anrufung der göttlichen Vorsehung die Loslösung von Großbritannien und die Souveränität der amerikanischen Staaten. Eine der wenigen inhaltlichen Änderungen, die der Kontinentalkongress an Jeffersons Entwurf vornahm, betraf die Streichung eines sklavereikritischen Absatzes, der den Delegierten aus dem Süden zu weit ging.Die Unabhängigkeitserklärung war einerseits dazu gedacht, die Amerikaner durch die Verkündung fundamentaler Prinzipien und Grundwerte, für die es sich zu kämpfen lohnte, an die revolutionäre Sache zu binden. Mit Blick auf Europa sollte sie andererseits die ehemaligen Kolonien als handlungsfähige Völkerrechtssubjekte etablieren. Jefferson nannte sein Werk später bescheiden »einen Ausdruck des amerikanischen Geistes«, wie er sich zur Zeit der Revolution dargestellt habe. Indem er eben diesen Geist auf den Begriff brachte, verlieh Jefferson der Unabhängigkeitserklärung über ihre unmittelbare Wirkung hinaus den Charakter eines weltgeschichtlich bedeutenden Dokuments.Das Volk als Souverän — Die VerfassungsrevolutionDie neuen StaatenverfassungenWährend noch über die Unabhängigkeitserklärung debattiert wurde, vollzog sich in den einzelnen Kolonien die Neuordnung des politischen Lebens. Angesichts der leidenschaftlichen Auseinandersetzungen, bei denen sozial egalitäre, »gleichmacherische« Forderungen aufkamen, fürchteten Gemäßigte und Besitzende um den inneren Frieden und wollten ein Weitertreiben der Revolution verhindern. Aber auch viele radikale Befürworter der Unabhängigkeit hielten es für geboten, nach dem Zusammenbruch der britischen Autorität zu stabilen Verhältnissen zurückzukehren und die gefährliche Phase des Nebeneinanders von alten und neuen Institutionen zu beenden. In diesem Prozess der Loslösung von Monarchie und Empire nahm die aufklärerische Idee, das Volk sei der Souverän und könne sich selbst regieren, erstmals konkrete Gestalt an. Zentrale Bedeutung erlangten die Verfassungen (constitutions), in denen die Staatsform und die Kompetenzen der verschiedenen Regierungsorgane festgeschrieben wurden. Sie enthielten überdies, wie die Gemeindeversammlung von Concord im Oktober 1776 feststellte, »ein System von Prinzipien, das die Rechte und Freiheiten der Regierten gegen alle Übergriffe der Regierenden schützt.«Die revolutionären Parlamente von New Hampshire und South Carolina hatten bereits im Januar beziehungsweise März 1776 provisorische Verfassungen verabschiedet, die nur bis zum Ende des Konflikts mit Großbritannien in Kraft bleiben sollten. Im Mai 1776 empfahl der Kontinentalkongress dann allen Kolonien, ein Regierungssystem einzurichten, »das nach Meinung der Volksvertreter am besten geeignet ist, das Glück und die Sicherheit ihrer Wählerschaft im Besonderen und Amerikas im Allgemeinen zu gewährleisten.« Zwischen Juni 1776 (Virginia) und Oktober 1780 (Massachusetts) kamen neun Kolonien dieser Aufforderung nach. Connecticut und Rhode Island beschränkten sich darauf, ihre Kolonialverfassungen aus dem 17. Jahrhundert von Erwähnungen des Königs und der Monarchie zu »reinigen«. Einen anderen Sonderfall stellte Vermont dar, dessen Bürger sich weder New York noch New Hampshire angliedern lassen wollten und die deshalb im Juli 1777 eine eigene, dem radikal-republikanischen Beispiel Pennsylvanias folgende Verfassung annahmen. Ihren Antrag, der Union beizutreten, lehnte der Kongress jedoch vorerst ab (die Aufnahme als 14. Staat erfolgte erst 1791).Die Prozeduren der Verfassunggebung unterschieden sich von Staat zu Staat. Einige revolutionäre Parlamente schrieben ohne speziellen Wählerauftrag Verfassungen und setzten sie ebenso eigenmächtig in Kraft. Diese Praxis wurde aber bald als unvereinbar mit dem Prinzip der Volkssouveränität kritisiert. Pennsylvania berief deshalb einen speziellen Konvent für die Ausarbeitung und Verabschiedung von Verfassung und Grundrechteerklärung ein. In Massachusetts einigte man sich schließlich auf ein Verfahren, das in seinen Grundzügen zum Vorbild für die gesamte spätere konstitutionelle Entwicklung wurde: Ein eigens zu diesem Zweck gewählter Konvent arbeitete die Verfassung aus und legte sie den Bürgern zur Ratifizierung vor; rechtskräftig wurde sie erst nach der Zustimmung durch das Volk. Auf diese Weise erhielt die Verfassung einen höheren Stellenwert als das Gesetzesrecht und konnte nur noch unter Mitwirkung des souveränen Volkes geändert werden.Inhaltlich stellten die neuen Verfassungen Kompromisse zwischen den beiden Flügeln der patriotischen Bewegung dar: dem radikal-republikanischen, der besonderen Wert auf Bürgerbeteiligung und Kontrolle der Regierenden legte, und dem konservativ-gemäßigten, der die Regierungsgewalten und sozialen Kräfte sorgsam auszubalancieren suchte. Das radikale Konzept setzte sich am reinsten in Pennsylvania durch, das konservative in New York und — unter dem Einfluss von John Adams — in Massachusetts. Überall mischten sich traditionelle mit innovativen Elementen. Die Zensusbestimmungen, die das aktive und passive Wahlrecht an Besitz und Steuerleistungen banden, wurden so weit gelockert, dass im Schnitt zwischen 70 und 90 Prozent der männlichen weißen Erwachsenen aktiv am politischen Leben teilnehmen konnten. In New Jersey waren auch Frauen wahlberechtigt — was allerdings 1809 zunächst wieder rückgängig gemacht wurde. Am untergeordneten Status der Frauen, der auf dem englischen Common Law beruhte, änderten die Verfassungen nichts. Abigail Adams' Appell an ihren Mann John, bei der Verfassunggebung »die Ladys nicht zu vergessen«, blieb ohne Echo. Reformer wie der Arzt Benjamin Rush auf dem Kontinentalkongress in Philadelphia schrieben den Frauen als »republikanischen Müttern« eine wichtige Funktion bei der politischen und moralischen Erziehung der Jugend zu. Rushs Pläne für ein staatliches Schulwesen, das auch Mädchen Bildungschancen eröffnet hätte, fielen aber der Sparsamkeit oder dem Unverständnis der Verfassung- und Gesetzgeber zum Opfer.Abgesehen von Pennsylvania und Georgia, die das Einkammersystem einführten, behielten die Staaten Senate bei, die im zeitgenössischen Verständnis dem Schutz der besitzenden Schichten dienten. In der Praxis büßten diese Oberhäuser aber viel von ihrer Exklusivität ein. Als wichtigster Vorteil der Zweikammerlegislativen wurde bald nicht mehr die soziale Balance angesehen, sondern der Zwang zur gründlichen Beratung von Gesetzesvorlagen und Regierungsmaßnahmen.Aus der frischen Erinnerung an die Konflikte mit den königlichen Gouverneuren heraus wurden die Befugnisse der Exekutive in der Regel stark eingeschränkt. Ins Zentrum des Regierungssystems rückte das Parlament, das häufig sowohl die Gouverneure als auch die Richter berief. Nur New York und Massachusetts ließen die Gouverneure direkt vom Volk wählen und gaben ihnen das Recht, mit einem suspensiven Veto in die Gesetzgebung einzugreifen. Auf diese Weise konnte das Zustandekommen eines Beschlusses so lange verzögert werden, bis das erstentscheidende Organ seinen Beschluss wiederholte. Für die Kontrolle der Parlamentarier sorgten die jährlichen Wahlen, die vielfach geübte Praxis des imperativen Mandats sowie Bestimmungen zur Ämterrotation. Die Judikative schließlich, die richterliche Gewalt im Staat, galt zwar noch nicht als »dritter Regierungszweig«, aber in einigen Staaten besaßen die Obersten Gerichte doch schon genügend Autorität, um die Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu prüfen.Die Anfänge der Staatenpolitik waren durch ein ständiges Ringen zwischen verschiedenen Interessengruppen und geistig-ideologischen Strömungen gekennzeichnet. In den meisten Staatenparlamenten bildeten sich Bündnisse und Fraktionen, die im politischen Tagesgeschäft oft heftig aneinander gerieten und Einfluss auf die Wählerschaft zu gewinnen suchten. Damit begann der Prozess der Parteienbildung. Der Grad der politischen Beteiligung der Bevölkerung nahm insgesamt zu, und die Aussichten von einfachen Farmern und Handwerkern, ins Parlament oder sogar auf einen Regierungsposten gewählt zu werden, stiegen deutlich an.Die Virginia Declaration of RightsDie Diskussion über Grundrechte war ein wesentlicher Teil der konstitutionellen Neuordnung. Sechs Staaten formulierten separate Grundrechtskataloge und stellten sie als bills of rights oder declarations of rights neben die Verfassung; die meisten anderen integrierten die Grundrechtsbestimmungen in den Text der Verfassung. Über den konkreten Schutz vor staatlicher Willkür hinaus diente die schriftliche Fixierung der fundamentalen Rechte und Freiheiten nun zur Begründung und Sinngebung des republikanischen Regierungssystems. Am deutlichsten kam dies in der von George Mason formulierten Virginia Declaration of Rights zum Ausdruck, die der Provinzialkongress am 28. Juni 1776 annahm. Ihre 16 Artikel füllten die Begriffe limited government, was bedeutete, dass die Macht der Regierung durch das Wahlrecht der Bürger und die Unabhängigkeit der Gerichte begrenzt wurde, sowie inalienable rights, die unveräußerlichen Rechte, mit Inhalt. Zu der lockeschen Trias von Leben, Freiheit und Eigentum traten der Schutz vor Durchsuchung oder Verhaftung ohne richterlichen Befehl, das Verbot von Folter und grausamen Strafen sowie der Anspruch des Angeklagten auf einen raschen Prozess vor einem Geschworenengericht; als spezielle republikanische Freiheiten wurden aufgeführt das Wahlrecht und das Widerstandsrecht, die Pressefreiheit und die unbehinderte Religionsausübung gemäß der Gewissensentscheidung des einzelnen Bürgers. Hinzu kam die Garantie des Milizsystems, des Volksheeres auf der Ebene der Einzelstaaten, als Alternative zur europäisch-monarchischen Tradition der stehenden Heere. Gleichzeitig wurden die Bürger zu Gerechtigkeit, Mäßigung und Sparsamkeit, zu Fleiß und christlicher Nächstenliebe verpflichtet. Das entsprach dem republikanischen Ideal des sittenstrengen, sich selbst regierenden Volkes, von dem Tugend, virtue, im klassischen Sinne, das heißt aufopfernde Hingabe an das Gemeinwohl, erwartet wird. Die Regierenden waren nicht länger Herrscher, rulers, sondern auf Zeit berufene Treuhänder, trustees, des Volkes. Alle gemeinsam unterstanden dem Recht, das in der Verfassung seine erhabenste Gestalt annahm. Die Einflüsse dieser Ideen und Konzepte reichen über die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte und die konstitutionellen Kämpfe des 19. Jahrhunderts bis in unsere Zeit hinein.Grundrechte und SklavereiDer eklatante Widerspruch, der sich zwischen der Sklaverei und dem in der Unabhängigkeitserklärung und den meisten Verfassungen verankerten Gleichheitspostulat auftat, blieb den Zeitgenossen keineswegs verborgen. Aus mehreren Richtungen geriet das System der Sklaverei unter Druck: Angeführt von den Quäkern, nahmen viele Religionsgemeinschaften eine dezidiert sklavereifeindliche Haltung ein; das aufklärerische Gedankengut wirkte nicht länger nur auf eine »Humanisierung« der Sklaverei, sondern immer stärker auf ihre Überwindung hin; die republikanisch-freiheitliche Rhetorik der Patrioten mobilisierte auch viele freie Schwarze und sogar Sklaven, die sich mit Petitionen an die Staatenparlamente wandten; und schließlich erschien das Sklavereisystem aus ökonomischer Sicht als ineffizient im Vergleich zu »freier« Arbeit. Nach 1776 entstanden in den meisten Staaten nördlich der Chesapeakebai Antisklavereigesellschaften, die noch während des Unabhängigkeitskrieges Kontakte zur Abolitionismusbewegung in England aufnahmen. Im Krieg stellten die Patrioten (mit Ausnahme der Plantagenbesitzer in den Carolinas und Georgia) denjenigen Afroamerikanern die Freiheit in Aussicht, die sich ihnen anschlossen und Militärdienst leisteten.Dieser Antisklavereiimpuls leitete das Ende der Sklaverei im Norden ein. Einige Staaten hoben die Sklaverei per Verfassung, durch Gesetze oder auf dem Weg über Gerichtsurteile umgehend auf. Das Oberste Gericht von Massachusetts stützte sich in einer entsprechenden Entscheidung von 1783 (Quock Walker Case) explizit auf die Grundrechteerklärung in der Staatsverfassung, die den Satz »all men are created equal« enthielt. Die Mehrzahl der Staaten folgte dagegen dem Beispiel Pennsylvanias, dessen Parlament 1780 die »graduelle Emanzipation« beschloss. Diese Gesetze legten fest, dass alle Kinder von Sklaven, die nach einem bestimmten Datum geboren wurden, ihre Freiheit erhielten, den Besitzern aber noch bis zur Volljährigkeit dienen mussten. Gekoppelt mit einem Einfuhrverbot von Sklaven bedeutete dies das allmähliche »Absterben« der Sklaverei im Norden der Vereinigten Staaten, auch wenn 1810 immer noch 30000 Sklaven nördlich der Chesapeakebai lebten. In Maryland, Delaware und Virginia führten die Kritik an der Sklaverei und der Wunsch, sich von der Tabakmonokultur zu lösen, immerhin dazu, dass die private Freilassung von Sklaven (manumissio) erleichtert wurde. Weiter südlich leisteten die Plantagenbesitzer jedoch nicht nur erbitterten Widerstand gegen jeden Versuch, die Sklaverei infrage zu stellen, sondern nahmen sofort nach dem Friedensschluss von Paris 1783, in dem Großbritannien die amerikanische Unabhängigkeit anerkannte, im großen Stil die Sklaveneinfuhr wieder auf, um die während des Krieges durch Flucht und Tod erlittenen Verluste auszugleichen.Die Afroamerikaner ließen die Revolution keineswegs passiv über sich ergehen. Viele Sklaven nutzten die Gelegenheit zur Flucht, und Tausende von Schwarzen kämpften in den amerikanischen oder britischen Armeen. In dieser Phase erwuchs der schwarzen Bevölkerung eine erste Generation von Führungspersönlichkeiten. Die Gründung autonomer afroamerikanischer Kirchen bildete den Auftakt zur Entstehung schwarzer Selbsthilfeorganisationen, die sich im Bildungs- und Sozialwesen engagierten. Die Sprecher der freien Schwarzen im Norden fungierten von nun an als »Gewissen der Nation«, da sie sich bei ihrer Kritik an der Sklaverei stets auf die Prinzipien der Unabhängigkeitserklärung berufen konnten.Die erste UnionsverfassungDen vorläufigen Abschluss der revolutionären Umwälzung bildeten die Articles of Confederation, die der Kontinentalkongress am 15. November 1777 mitten im Unabhängigkeitskrieg verabschiedete. Die 13 amerikanischen Staaten schlossen unter dem Namen »The United States, in Congress assembled« einen »festen Freundschaftsbund«, der jedem Mitglied die volle Souveränität beließ. Der Kontinentalkongress wurde in Konföderationskongress umbenannt und tagte in der alten Form weiter. Die Parlamente entsandten jährlich Delegierte, und wie bisher verfügte jeder Staat über eine Stimme. Der jährlich gewählte Präsident übte nur repräsentative Funktionen aus, und die Arbeit wurde vorwiegend in Komitees geleistet, von denen sich einige in Richtung auf Exekutivbehörden wie Außen-, Finanz- und Kriegsministerium hin entwickelten.Der Konföderationskongress erhielt zwar das Recht, über Krieg und Frieden zu entscheiden, Kredite aufzunehmen und Verträge zu schließen, durfte aber weder Gesetze verabschieden noch Steuern und Zölle erheben. Die Finanzierung der Gemeinschaftsaufgaben erfolgte durch freiwillige Beiträge der Einzelstaaten entsprechend ihrer nutzbaren Bodenfläche. Wichtige Entscheidungen mussten mit Zweidrittelmehrheit getroffen werden, und Änderungen der Articles of Confederation bedurften der Zustimmung sämtlicher Parlamente. Offiziell trat die Verfassung erst am 1. März 1781 in Kraft, nachdem die Staaten ihren Streit über Gebietsansprüche im Westen dadurch gelöst hatten, dass sie das Land jenseits der Appalachen als public domain in den Gemeinschaftsbesitz der Union überführten.Siegreiche Rebellen — Der UnabhängigkeitskriegMit den Staatenverfassungen und den Articles of Confederation schufen sich die Amerikaner ein konstitutionelles Gerüst, das zum Teil experimentell und unvollkommen war, das aber dennoch den schweren Belastungen des Krieges gegen Großbritannien standhielt. Nach dem amerikanischen Fiasko im Feldzug gegen Kanada Ende 1775 war die Initiative an die Briten übergegangen. In London glaubte man zunächst, der »Unruhen« in den Kolonien mit einer Seeblockade und begrenzten Polizeiaktionen Herr werden zu können. Das änderte sich, als die britischen Truppen im März 1776 unter dem Druck der amerikanischen Belagerer Boston räumen mussten. Nun entschlossen sich Parlament und Regierung zum Krieg, ohne allerdings die Lage in Amerika richtig einschätzen zu können.Anfänglich zielten die Briten darauf ab, Neuengland von den anderen Kolonien zu isolieren und die »Rebellenarmee« rasch zu zerschlagen. Bis Ende August 1776 landeten sie rund 32000 Mann auf der New York vorgelagerten Insel Staten Island, darunter 8000 deutsche Söldner (die von den Amerikanern »Hessians« genannt wurden, obwohl keineswegs alle aus den hessischen Territorien kamen). Bei den Kämpfen auf Long Island und Manhattan erwiesen sich die gut ausgebildeten britischen Soldaten als den Staatenmilizen und Freiwilligenverbänden der Kontinentalarmee überlegen. George Washington, der die amerikanischen Truppen seit Juni 1775 befehligte, konnte jedoch eine Entscheidungsschlacht vermeiden und seine Armee, die auf 3000 Mann zusammengeschmolzen war, nach New Jersey retten. Ende Dezember gelangen ihm nach der riskanten Überquerung des Delaware River Teilerfolge bei Trenton und Princeton, die sich positiv auf die Moral der Truppe und der Bevölkerung auswirkten. Die Lage blieb aber heikel, denn der Kongress und die Staaten hatten große Schwierigkeiten, genügend Soldaten zu rekrutieren und die Armee zu versorgen.Das amerikanische Bündnis mit FrankreichIn der zweiten Kriegsphase planten die Briten, die Kolonien durch einen Zangenangriff aus der Chesapeakeregion und aus Kanada zu teilen. General William Howe konnte zwar im August 1777 Philadelphia erobern, aber die von General John Burgoyne entlang des Hudson River nach Süden geführte Streitmacht wurde bei Saratoga von den Amerikanern geschlagen. Am 16. Oktober musste sich Burgoyne mit 6000 Mann, darunter auch viele deutsche Söldner, ergeben. Diese Schlacht markierte den Wendepunkt des Krieges, denn die französische Regierung, die den Amerikanern bereits seit Frühjahr 1776 insgeheim materielle Unterstützung gewährt hatte, trat nun offen an die Seite der Vereinigten Staaten. Im Februar 1778 erkannte sie die USA diplomatisch an und schloss in Paris mit dem amerikanischen Gesandten Benjamin Franklin ein Militärbündnis sowie einen Freundschafts- und Handelsvertrag. In der Hoffnung, Revanche für die Niederlage im Siebenjährigen Krieg nehmen zu können, weiteten der französische Außenminister Charles Gravier, Graf von Vergennes, der seit 1774 dieses Amt bekleidete, und König Ludwig XVI. den britisch-amerikanischen Streit zu einer neuen Kraftprobe der Großmächte aus. Ab Juni 1778 befand sich Frankreich im Krieg mit Großbritannien, und im folgenden Jahr traten auch Spanier und Niederländer der antibritischen Koalition bei. Mit großzügiger Finanz- und Waffenhilfe aus Europa konnten die Amerikaner den Tiefpunkt des Krieges überwinden und ihre Lage stabilisieren.Volks- und PartisanenkriegDie Patrioten führten den Kampf um die Unabhängigkeit gleichzeitig mit konventionellen Methoden und als revolutionären Volkskrieg. Die Kontinentalarmee, umsichtig befehligt von George Washington und nach preußischer Manier gedrillt vom Baron Friedrich Wilhelm von Steuben, blieb unverzichtbar als Machtinstrument und als Symbol der Einheit der Konföderation. Ihre Stärke überstieg aber selten 18000 Mann, und sie sank in den harten Winterlagern von Valley Forge (bei Philadelphia) 1777/78 und Morristown (New Jersey) 1779/80 unter 5000 Mann ab. Angesichts der zahlenmäßigen Unterlegenheit hatte Washington kaum eine andere Wahl, als die »Fabius«-Strategie — benannt nach dem römischen Feldherrn Quintus Fabius Maximus Verrucosus mit dem Beinamen Cunctator (Zauderer) — zu verfolgen, mit der er Entscheidungsschlachten auswich und nur gelegentliche Vorstöße wagte. Er machte zuweilen taktische Fehler, geriet aber nie in Panik, sondern bewies selbst in aussichtslos scheinenden Situationen Übersicht, Nervenstärke und ein gutes Urteilsvermögen.Während Washington und die britischen Generäle den Kampf nach klassischen Regeln führten, versanken weite Teile des Landes im Bürgerkrieg. Briten und Patrioten kämpften nicht nur gegeneinander, sondern stets auch um die Gunst und Kontrolle der lokalen Bevölkerung. Insbesondere im Süden nahm die Auseinandersetzung den Charakter eines Guerrillakrieges an. Die Briten hatten nicht ohne Grund auf die Unterstützung ihrer Truppen durch Loyalisten, Sklaven und Indianer gehofft. Etwa ein Drittel der Bevölkerung war loyalistisch gesinnt, und ein weiteres Drittel verhielt sich ängstlich abwartend oder lehnte Kriegsdienst aus religiösen Gründen ab. Mehr als 20000 Loyalisten kämpften als reguläre Soldaten in britischen Armeen, und viele andere schlossen sich den probritischen Milizen an. Obwohl die britischen Befehlshaber davor zurückschreckten, die Indianerstämme zu einem allgemeinen Aufstand gegen die Siedler anzustacheln, waren doch an allen britischen Offensiven indianische Hilfstruppen beteiligt. Im Süden liefen zudem Tausende von Sklaven zu den Briten über, die sie durch das Versprechen der Freiheit zur Flucht ermuntert hatten.Trotz dieser Unterstützung gelang es den Briten nicht, größere Gebiete dauerhaft unter Kontrolle zu bringen. Ihre Strategie, von städtischen Zentren oder festen Plätzen aus die umliegenden Landstriche zu »befrieden«, bewirkte oft das genaue Gegenteil: Sie trieb viele Unentschiedene und Neutrale in die Arme der patriotischen Milizen und »Sicherheitskomitees«, die zumeist unabhängig von der Kontinentalarmee operierten. Ihr wichtigster Beitrag bestand in der Politisierung des Krieges: Sie bestraften die »Verräter«, enteigneten loyalistischen Besitz und vermittelten den Anhängern das Gefühl, für eine gerechte Sache zu kämpfen. Je länger der Krieg dauerte, desto weniger konnten die Briten die ihnen treu ergebenen Amerikaner schützen, und desto geringer wurde ihr Einfluss auf die öffentliche Meinung. Die Ausweitung der kolonialen Revolte zu einer breiten Volksbewegung verurteilte die britischen Anstrengungen um Wiederherstellung ihrer Autorität und Herrschaft letztlich zum Scheitern.Die Schlacht von YorktownIm Sommer 1778 gaben die Briten Philadelphia auf und gingen dafür im Süden zur Offensive über. Nach der Landung in Georgia stieß der britische General Sir Henry Clinton über Charleston (South Carolina) nach Virginia vor. Sein Nachfolger Lord Charles Cornwallis konnte das Ziel dieser Strategie, die durch die Sklaverei besonders verwundbaren Südstaaten aus der Union herauszubrechen, jedoch nicht erreichen. Vielmehr versteifte sich der amerikanische Widerstand, als die Franzosen im Sommer 1780 eine 5500 Mann starke Armee nach Amerika schickten. Im Sommer 1781 konzentrierte Cornwallis seine Truppen in Virginia und befestigte den Ort Yorktown am Ausgang der Chesapeakebai. Damit tappte er allerdings in eine Falle, die ihm von den virginischen Milizen gestellt wurde. Sie schloss sich vollends, als die Kontinentalarmee und das französische Expeditionskorps von George Washington, dem Marquis de La Fayette und dem Grafen von Rochambeau aus dem Norden herbeigeführt wurden und eine starke französische Flotte unter Admiral de Grasse den Zugang zur Chesapeakebai versperrte. Nach längerer Belagerung musste Cornwallis am 19. Oktober 1781 mit über 7000 Soldaten und Offizieren kapitulieren. In Großbritannien brach diese demütigende Niederlage den Willen von Parlament und Regierung, den Krieg, der im eigenen Volk zunehmend unpopulär geworden war und das Land diplomatisch isoliert hatte, weiter zu verfolgen. Aber auch die Amerikaner zahlten mit etwa 25000 Toten einen hohen Preis für die Trennung vom Mutterland.Der Frieden von ParisIm Frühjahr 1782 begannen in Paris Friedensverhandlungen, die für die Vereinigten Staaten Benjamin Franklin, John Adams und John Jay führten. Hinter den Kulissen ergab sich im Herbst Einvernehmen zwischen den Amerikanern, die ihre Unabhängigkeit so schnell wie möglich völkerrechtlich bestätigt sehen wollten, und den Briten, die fürchteten, Franzosen und Spanier könnten lange Verzögerungen zu weiteren Gebietsgewinnen in der Karibik nutzen. Am 30. November 1782 schlossen die britischen und amerikanischen Unterhändler einen Präliminarfrieden, der allerdings erst ein Jahr später, nach der Unterzeichnung des Friedens von Paris am 3.September 1783, in Kraft trat. Durch geschicktes Taktieren hatten Franklin und seine beiden Mitdelegierten ihre Maximalziele nahezu erreicht: Großbritannien erkannte die amerikanische Unabhängigkeit formell an, trat das gesamte Territorium zwischen den Appalachen und dem Mississippi an die Vereinigten Staaten ab und räumte den Amerikanern Fischfangrechte vor Neufundland und Neuschottland ein. Kanada nördlich der Großen Seen blieb britisch, wobei die Grenzen allerdings noch nicht unzweideutig definiert wurden. Der Friedensschluss zwischen den europäischen Mächten brachte keine wesentlichen Veränderungen, abgesehen von der Tatsache, dass Großbritannien Florida an Spanien zurückgeben musste. Das wichtigste Ergebnis aus amerikanischer Sicht war natürlich — abgesehen von der Unabhängigkeit selbst — die Öffnung der riesigen Westgebiete, in die nun bereits Siedler zu strömen begannen.Prof. Dr. Jürgen HeidekingWeiterführende Erläuterungen finden Sie auch unter:Vereinigte Staaten von Amerika (1783 bis 1815): Die Geburt einer NationGrundlegende Informationen finden Sie unter:Revolution: Schillernder Begriff für vielfältige PhänomeneFreiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit: Utopie oder Realität?»Alle Menschen sind dort gleich. ..«. Die deutsche Amerika-Auswanderung im 19. und 20. Jahrhundert, herausgegeben von Wolfgang J. Helbich. Düsseldorf 1988.Die Amerikanische Revolution und die Verfassung. 1754-1791, herausgegeben von Angela Adams und Willi Paul Adams. München 1987.Aufbruch in die Fremde. Europäische Auswanderung nach Übersee, herausgegeben von Dirk Hoerder und Diethelm Knauf. Bremen 1992.Documents of American history, herausgegeben von Henry Steele Commager u. a., Band 1. Englewood Cliffs, N. J., 101988.The enduring vision. A history of the American people, herausgegeben von Paul S. Boyer u. a. Lexington, Mass., 31996.Foner, Eric: Tom Paine and Revolutionary America. Neuausgabe London u. a. 1977.Garraty, John A. und MacCaughey, Robert A.: The American nation. A history of the United States. New York u. a. 71991.The great republic. A history of the American people, bearbeitet von Bernard Bailyn u. a., 2 Bände. Lexington, Mass., 41992.America's history. New York 21993.Henretta, James A. u. a.: The national experience. A history of the United States, bearbeitet von John M. Blum u. a. 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Universal-Lexikon. 2012.